»Simulierte Defekte machen die KI-Nutzung in der Inspektion möglich«

Wie sich mit synthetischer Bilderzeugung das Henne-Ei-Problem für KI in der Inspektion lösen lässt

Professor Längle, KI verursacht derzeit viele Disruptionen – auch im Geschäftsfeld Inspektion und Optronische Systeme?

Thomas Längle: Maschinelles Lernen (ML) spielt schon lange eine große Rolle in der Computer Vision. Das hat für uns unmittelbare Anwendungen etwa in der Fernerkundung, also bei der Luftbildauswertung, oder auch in der Schüttgutsortierung. Spannend ist die aktuelle Entwicklung bei der Inspektion von Oberflächen und komplexen Objekten: Hier scheitern die Fortschritte bei der Defekterkennung und -klassifikation, die man von ML-Ansätzen erwarten könnte, bislang oft an fehlenden Daten. Um die KI-Modelle zu trainieren, müsste man sie mit vielen Aufnahmen von Gut-Beispielen, vor allem aber auch von exakt gelabelten Schlecht-Beispielen trainieren. Davon gibt es, wenn überhaupt, zu wenige. Wir beschäftigen uns deshalb intensiv mit synthetischer Bilderzeugung. 

Die Trainingsdaten für die KI sollen per KI erzeugt werden?

Das auch – wir haben schon Erfahrungen mit ML-Ansätzen wie Generative Adversarial Networks (GAN), Variable Autoencoders (VAE) und Diffusion Models gesammelt, um auf Basis bestehender Bilder neue Varianten von Schlechtbeispielen zu erzeugen. Vor allem aber verfolgen wir einen Simulationsansatz. Die Idee ist, die gesamte Prüfumgebung zu simulieren – Prüflingsgeometrie, Materialeigenschaften, Beleuchtung, Sensortechnologie – um synthetische, aber trotzdem ausreichend realistische Bilder zu erhalten. Dann können wir anhand von Daten zu Defekten, die wir in der Vergangenheit gesammelt haben, auch noch virtuelle Fehler hinzufügen und diese vielfach variieren. Bei einem Kratzer können wir etwa Länge, Tiefe, Form immer wieder unterschiedlich wählen – und auf der Basis das jeweilige Bild berechnen, mit dem die Auswerte-KI im gewählten Inspektionssetup letztlich konfrontiert wäre.

Das klingt aufwendig – welche Vorteile hat dieser simulative Ansatz?

Wir lösen damit unter Umständen das Henne-Ei-Problem – denn eine ML-basierte Vervielfältigung von Defektbildern setzt zumindest erste solche Bilder voraus, hängt also immer noch von der Menge und Güte der Eingangsdaten ab. Auch können wir beliebige Fehlerklassen einbauen, und natürlich sind die so entstehenden synthetischen Bilder immer perfekt gelabelt. Wir wissen ja, welchen Fehler wir an welcher Stelle simuliert haben. Neben den Fehlern können wir zudem andere, praxisrelevante Parameter verändern: In der Realität wechseln ja nicht nur die Defekte. Position und Maßhaltigkeit des Prüflings unterliegen einer Streuung, die Beleuchtung variiert etwas, etc. Und schließlich haben wir mit der Simulation einen umfassenden Digitalen Zwilling des Inspektionssetups – und können dieses auch virtuell variieren. Wir können also die ganze Anlage testen, optimieren und Aussagen über die Leistungsfähigkeit treffen, bevor sie aufwendig in Hardware umgesetzt wird.

 

Prof. Längle ist Sprecher des Geschäftsfelds Inspektion und Optronische Systeme und Leiter der Abteilung Sichtprüfsysteme (SPR).

Digital technologies for productivity, sustainability, and security

Das obenstehende Interview ist dem Tätigkeitsbericht 2023/2024 des Fraunhofer IOSB entnommen.

 

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