Wie ging es nach 2004 weiter?
Beyerer: 2006 kam die Evaluation durch den Wissenschaftsrat. Ich habe aus den genannten Gründen dafür plädiert, eine Fusion zu empfehlen – und Ende 2007 hat der Wissenschaftsrat in seinem Bericht die klare Empfehlung ausgesprochen, die FGAN in Fraunhofer zu integrieren und unsere beiden Institute zu fusionieren. Dann mussten natürlich Ministerien und Fraunhofer noch entscheiden, ob man diese Empfehlung wirklich umsetzt. Mitte 2009 erfolgte dann die Integration und Anfang 2010 wurde die Fusion wirksam.
Tacke: Wobei dem eine lange Diskussion vorausging. Bei Fraunhofer und im Bundesforschungsministerium gab es durchaus Bedenken, dass die Qualität unter der Fusion leiden könnte – ich kenne von damals Stimmen, die allenfalls das FOM für halbwegs kompatibel hielten. Was sich nicht bewahrheitet hat. Die drei ehemaligen FGAN-Institute sind mittlerweile genauso Fraunhofer geworden wie alle anderen auch. Und auch die typische deutsche Skepsis bezüglich Verteidigungsforschung hat denke ich eine Rolle gespielt. Aber letztlich hat das Votum des Wissenschaftsrats überzeugt, dass die Fusion gut wäre. In der FGAN wiederum gab es die Befürchtung, dass der wirtschaftliche Druck zu groß wird, wenn man nach Fraunhofer-Modell arbeitet – nach dem Motto: »Da wird uns die Freiheit der Wissenschaft genommen.«
Wie war das Verhältnis zwischen den Instituten und Ihnen beiden?
Beyerer: Man hat sich natürlich schon immer wahrgenommen. Ich war 2004 mit dem früheren IITB-Leiter Hans-Achim Kuhr zum Antrittsbesuch am FOM. Als dann die Fusion Thema wurde, haben wir uns durchaus auch kontrovers auseinandergesetzt: Wir haben viele Gespräche über das Für und Wider geführt und darum gerungen, wie es gehen könnte. Als dann klar war, dass die Integration und auch die Fusion kommt, ging es um die Frage: Wie können wir auf Augenhöhe zusammenwachsen, ohne Gefühl der Übernahme? In den Abteilungen gab es durchaus Vorbehalte, sie waren aus der Historie heraus teilweise in einer Wettbewerbshaltung.
Tacke: Es gab auch Kooperationen und gemeinsame Projekte – aber stärker wurde tatsächlich die Konkurrenz empfunden, weil beide Institute auf dem Markt für Verteidigungsinstitute und beide in der Bildanalyse arbeiteten.
Beyerer: Und dann saßen wir plötzlich gemeinsam am Tisch und haben darüber geredet, wie man in einem zukünftigen gemeinsamen Institut zusammenarbeiten kann. Wie man Gräben zuschütten kann. Am Ende funktioniert’s ja nur mit Vertrauen. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass die Fusion nur erfolgreich war, weil wir beide es geschafft haben, gut zusammenzuarbeiten.
Tacke: Als feststand, dass wir den Laden zusammenführen müssen, haben wir genau das gemeinsam getan.
Beyerer: Ja, als Integration und Fusion beschlossene Sache waren, haben wir beide Vollgas gegeben und an den Strukturen und der Vertrauensbildung zwischen unseren Leuten gearbeitet.
Wie sah diese aktive Arbeit an der Fusion aus?
Beyerer: Wir haben mit regelmäßigen Strategieseminaren angefangen, die es heute noch gibt. Und wir haben Aktionen mit kommunikativem Charakter gestartet, um Vertrauen aufzubauen. Zum Beispiel einen Kochkurs, bei dem Pärchen aus je einer Person aus dem FOM und einer aus dem IITB zusammen gekocht haben. In dieser Phase sind die Ideen für die Struktur des IOSB entstanden: dass die Fachabteilungen die eigentlichen Konstituenten des Instituts sein sollen und die Abteilungsleiter zweite Führungsebene bleiben, mit der Kompetenz für die Verankerung in den wissenschaftlich-technischen Communities und der Budgetverantwortung. Gleichzeitig haben wir beschlossen, Geschäftsfelder einzuführen, um den Märkten gegenüber ein geschlossenes, verständliches Bild abzugeben – aber diese Zusatzstruktur wird von den Abteilungen getragen und ist ihnen nicht vorgesetzt. Uns beiden war wichtig, in diesem Prozess alle Abteilungsleiter mitzunehmen, so dass alle hinter dem Ergebnis stehen.
Und wie sahen es die Belegschaften? Gab es da nicht Unruhe?
Tacke: Es wurde in einem langsamen Prozess allen klar, dass die Fusion immer wahrscheinlicher wird. Dank meiner Fraunhofer-Vergangenheit konnte ich der FOM-Belegschaft erklären, wie die Zukunft aussehen wird. Ich hatte den Eindruck, dass sie das akzeptiert haben – weder besonders jubilierend noch mit übergroßen Ängsten. Im Betriebsrat gab es einige Vorbehalte, dass möglicherweise der Druck zu groß werden und man finanziell darunter leiden würde. Und im IITB fürchteten einzelne, dass die Verteidigungsforschung zu stark würde. Aber beides verlor sich mit der Zeit.
Beyerer: Mir wurden nie harte Argumente entgegengehalten. Die Leute waren neugierig, hatten vielleicht auch die eine oder andere Befürchtung, etwa ob sie künftig in Ettlingen arbeiten müssen. Der Betriebsrat wollte einen Sozialplan – wir haben dann dargelegt, dass es bei dieser Fusion nicht darum geht, irgendetwas einzusparen, sondern dass zwei bislang erfolgreiche Institute gemeinsam noch kraftvoller in die Zukunft gehen wollen und dass damit durchaus Wachstum einhergehen kann.
Jetzt sprechen Sie zum wiederholten Male die Verteidigungsforschung als heikles Thema an – die ja nach wie vor eine sehr große Rolle für das IOSB spielt.
Tacke: Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn man im persönlichen Umfeld erzählt, dass man in der Verteidigungsforschung arbeitet, sind die Reaktionen manchmal sehr reserviert. Aber ich denke, die Vorbehalte werden geringer, jüngere Generationen wachsen in eine andere Realität hinein.
Beyerer: Ich gebe jedes Mal in meinen Vorlesungen ein klares Bekenntnis ab, weil ich unsere Geschäftsfelder am IOSB erläutere und sage, dass Verteidigung mehr als 40 Prozent ausmacht. Meine Argumentation dazu ist: Unser Land schickt, demokratisch legitimiert, junge Bürgerinnen und Bürger in gefährliche Einsätze – dann haben diese doch nun wirklich ein Recht darauf, bestmöglich ausgerüstet zu sein, um ihren Job gut machen und gesund wieder nach Hause kommen zu können. Und dafür forschen wir. Das ist ein politischer Auftrag und der hat seinen guten Grund. Zu meiner eigenen Verwunderung war das noch nie ein Stein des Anstoßes bei den Studierenden, obwohl die das ja über die Bewertungsbögen auch anonym kritisieren könnten.
Und das junge IOSB ist dann ohne Anlaufschwierigkeiten durchgestartet?
Tacke: Absolut. Wir hatten eine ausreichend dimensionierte Anschubfinanzierung, um uns durch Projekte mit klarer Marktausrichtung noch stärker zur Fraunhofer-Welt hin zu entwickeln. Und es zeigte sich schnell der Vorteil unserer Struktur: Die Abteilungen hatten über die Geschäftsfelder Aufhängepunkte in verschiedenen Anwendungsbereichen und fanden so jeweils Hilfestellung, wenn sie in neue Anwendungen hineingehen wollten. Die Fusion erwies sich also als Erfolg – und das, obwohl die Verteidigungs-Grundfinanzierung, anders als erhofft, in der Folge nicht neu geordnet wurde.
Beyerer: Wir arbeiten zwar seit Beginn unter durchaus komplexen Randbedingungen, die sich noch dazu von Standort zu Standort unterscheiden – aber wie man an der positiven Entwicklung des Instituts sehen kann, haben wir geschafft, das Beste daraus zu machen. Wir haben auch immer Wert darauf gelegt, solche äußeren Umstände nicht zum Hindernis für die fachliche Arbeit werden zu lassen und unsere wissenschaftlichen Kräfte zielorientiert zu bündeln, um gemeinsam das Bestmögliche zu erreichen.
Gibt es Projekte oder Themen, an denen die fachlichen Chancen der Fusion besonders sichtbar werden?
Tacke: Es gibt immer wieder gemeinsame Befruchtung und Unterstützung. Zum Beispiel, wenn eine Abteilung Daten liefert, die beweisen, dass ein Projektvorhaben einer anderen Abteilung wichtig und förderungswürdig ist. Große abteilungsübergreifende Projekte sind in meiner Erfahrung dagegen eher die Ausnahme – wie man auch erwarten kann, wenn die Grenzen zwischen den einzelnen Abteilungen und Gruppen inhaltlich vernünftig gesetzt sind, so dass einzelne Einheiten ein Problem geschlossen bearbeiten können. Trotzdem hilft es immens, wenn man sich institutsweit vertrauensvoll über die Randbedingungen austauschen kann.
Beyerer: Für mich wird die Synergie zum Beispiel bei der Unterwassersicht deutlich – das ist mittlerweile sowohl in Ilmenau als auch in Karlsruhe und Ettlingen Thema, wobei die Standorte jeweils unterschiedliche Aspekte behandeln. Oder bei der Drohnenerkennung und -abwehr – das wäre ohne die vereinte Kompetenzbreite der Ettlinger und Karlsruher Kollegen nicht machbar gewesen. Und wenn ich nach vorn schaue, gibt es im Verteidigungsministerium die großen und langfristigen Projekte Future Combat Air System, FCAS, und Main Ground Combat System, MGCS, bei denen ich unsere große Bandbreite als Institut für extrem nutzbringend halte.
Stichwort Blick nach vorn – welche Hoffnungen und Erwartungen haben Sie für die nächsten 10 Jahre IOSB?
Tacke: Ich hoffe, dass die Struktur der Grundfinanzierung im Verteidigungsbereich sinnvoller und systematischer gestaltet wird. Dass wir bisher geschafft haben, mit den durch die Vergangenheit des Instituts gegebenen Finanzierungsmodellen klarzukommen, ohne dass es die Arbeit negativ beeinflusst, ist ein großer Erfolg – mit den richtigen externen Randbedingungen könnte es noch besser laufen. Ansonsten glaube ich, dass das Institut gut aufgestellt ist. Ich rechne mit einigen schönen und gut nutzbaren Ergebnissen in den kommenden zehn Jahren, ohne dass ich sagen könnte, was genau es sein wird.
Beyerer: Wichtig ist eine erstklassige Infrastruktur an allen Standorten – da sind wir mit unseren diversen Bauprojekten auf einem guten Weg. Inhaltlich hoffe und erwarte ich, dass wir sichtbare und substanzielle Beiträge leisten, und zwar sowohl bei den beiden genannten Verteidigungs-Großprojekten als auch bei großen Herausforderungen im zivilen Bereich. Da gibt es einige Themen, wo ich hoffe, dass wir der erste Ansprechpartner sind bzw. niemand an uns vorbeikommt. Das gilt zum Beispiel für embodied machine intelligence, für die Digitalisierung im Kontext von Industrie und Automatisierungstechnik und für die Frage, wie man KI und ML zu einer Engineering-Disziplin machen kann.
Das Gespräch führte Ulrich Pontes.