Herr Professor Längle, Sortiersysteme für u.a. Lebensmittel sind seit langem ein zentrales Arbeitsgebiet des Fraunhofer IOSB. Hat das Institut noch einen anderen Bezug zu Lebensmitteln?
Thomas Längle: Eigentlich sehr viel, wenn man sich unsere Aktivitäten anschaut. Im Bereich der visuellen Inspektion haben wir viel Erfahrung mit der Erfassung und Analyse einer ganzen Reihe von Spektraldaten. Seit einigen Jahren sammeln wir beispielsweise Spektraldaten von Pflanzen und Lebensmitteln. Außerdem arbeiten wir seit einiger Zeit an Möglichkeiten zur effizienten Analyse von Fernerkundungsdaten und verfügen über Fachwissen in den Bereichen Robotik und autonome Systeme. Daneben haben wir auch Expertise in übergreifenden Bereichen wie KI, Sensorik, Datenmanagement und Systemarchitektur. Wenn man all das berücksichtigt, haben wir also alles, was wir brauchen, um die Digitalisierung in der Landwirtschaft und entlang der gesamten Nahrungsmittelkette voranzutreiben.
Was bedeutet das genau?
Längle: Die Landwirtschaft ist in einem tiefgreifenden Wandel begriffen. Wir brauchen neue Ansätze, um sicherzustellen, dass wir die Menschheit nachhaltig ernähren können angesichts des Bevölkerungswachstums und des Klimawandels. Eine große Hoffnung ist, dass die digitale Technologie dazu beitragen wird, die Effizienz der Nahrungsmittelproduktion auf umweltfreundliche Weise zu steigern. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Optische oder genauer gesagt hyperspektrale Sensorsysteme, die an landwirtschaftlichen Robotern, Drohnen oder sogar Satelliten angebracht sind, können zur automatischen Überwachung des Zustands von Pflanzen und Boden im großen und kleinen Maßstab eingesetzt werden. Mit Hilfe modernster Algorithmen, multivariater Analyse und KI können wir den Gesundheits- und Reifegrad von Pflanzen auf der Grundlage der Inspektion eines einzelnen Blattes bestimmen oder verschiedene Bodenparameter analysieren. Diese Daten werden in die Cloud, in den so genannten Agriculture Data Space geschickt, wo sie zusammen mit anderen Daten analysiert werden, um beispielsweise einen Dünge- und Bewässerungsplan zu erstellen, der genau auf die Bedürfnisse der Pflanze zugeschnitten ist. An dieser Vision arbeiten unsere Abteilungen Sichtprüfsysteme, Mess-, Regelungs- und Diagnosesysteme und Szenenanalyse derzeit im Fraunhofer-Leitprojekt COGNAC (Cognitive Agriculture) und anderen Projekten.
Welche anderen Möglichkeiten gibt es weiter unten in der Wertschöpfungskette?
Längle: Nicht nur Pflanzen auf dem Feld, sondern auch Lebensmittel können mit Hilfe von Spektralsensoren schnell klassifiziert werden - sei es für Sortierung neu geernteter Pflanzen, zur Echtzeit-Kontrolle bestimmter Eigenschaften oder tatsächlich im Geschäft oder beim Verbraucher zu Hause, um z.B. zu prüfen, ob ein Lebensmittel genießbar oder bereits verdorben ist. Wir wollen einen kleinen, mobilen Lebensmittelscanner entwickeln - nach dem Vorbild des Tricorders aus Star Wars - und damit dafür sorgen, dass in Zukunft weniger Lebensmittel im Mülleimer landen, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist.
Prof. Längle ist Sprecher des Geschäftsfelds Inspektion und Optronische Systeme und Leiter der Abteilung Sichtprüfsysteme (SPR).